Patientenreise und Behandlungspfad: Zwei Perspektiven, ein Prozess
von: Holger Steudemann
bergmannwandel GmbH
Struktur trifft Erleben
Es ist an diesem Platz eine Binsenweisheit: Die Krankenhauslandschaft verändert sich. Fusionen, Klinikverbünde, neue Versorgungseinheiten – vieles, was aus Sicht von Trägern und Politik rational und sinnvoll ist, bedeutet für Patientinnen und Patienten Unsicherheit. Prozesse laufen nicht mehr nur in einem Haus, sondern über Standorte hinweg. Was aus medizinischer Sicht ein effizienter Behandlungspfad ist, wirkt für Betroffene möglicherweise fragmentiert und fremd. Und geht in der breiten Bevölkerung nicht selten mit der Befürchtung einher, dass sich die Gesamtversorgung verschlechtert.
Wer heute Versorgung gestalten will, darf die klinische Prozesslogik nicht isoliert betrachten. Denn medizinische Qualität entsteht nicht nur durch die Abfolge der richtigen Schritte, sondern auch durch die Art, wie diese Schritte erlebt werden.
Vor diesem Hintergrund lohnt die genaue und analytische Betrachtung der Patient Journey und ihr Abgleich mit klinischen Behandlungspfaden. Während der klinische Behandlungspfad medizinische Qualität strukturiert, entscheidet letztlich die Patient Journey, wie dieser Weg erlebt wird – was wiederum ein wesentliches Qualitätskriterium ist.
Der klinische Behandlungspfad sorgt für Sicherheit. Die Patient Journey sorgt für Akzeptanz. Erst ihre Verknüpfung schafft tragfähige Behandlungsergebnisse. Und wettbewerbsstarke Klinikunternehmen.
Der klinische Behandlungspfad: Ordnung im System
Behandlungspfade sind bewährte Werkzeuge der Qualitätsmedizin. Sie basieren auf Leitlinien, sichern Evidenz, vermeiden Fehler. Indikationsstellung, Diagnostik, Therapie, Nachsorge – jeder Schritt ist definiert, dokumentiert und überprüfbar.
Das schafft:
Standardisierung, die Abläufe verlässlich macht.
Planbarkeit, die Ressourcen effizient einsetzt.
Patientensicherheit, die Risiken reduziert.
Der klinische Behandlungspfad ist das Rückgrat moderner Medizin.
Doch er ist vor allem aus der Innenperspektive gedacht – aus Sicht der Profis. Für Patientinnen und Patienten bleibt er oft unsichtbar, schwer verständlich, manchmal sogar einschüchternd.
Die Patient Journey: Orientierung für Menschen
Die Patient Journey setzt am anderen Ende an. Sie beschreibt die subjektive Reise der Patient*innen – alle Kontaktpunkte, die ein Mensch während seiner Versorgung erlebt. Vom ersten Anruf in der Ambulanz bis zum Entlassungsgespräch, von der Wartezeit vor der OP bis zur Nachsorge.
An jedem dieser Kontaktpunkte entscheidet sich, ob Vertrauen entsteht oder Unsicherheit.
Wird eine Verzögerung erklärt – oder entsteht das Gefühl, vergessen worden zu sein?
Wird eine Untersuchung laienverständlich erklärt – oder bleibt sie ein technisches Rätsel?
Wird mit der Überstellung eines Befundes Orientierung gegeben – oder nur ein Schriftstück überreicht?
Wer sich die Mühe macht, das Erleben komplexer Behandlungsprozesse en détail aus Sicht der Patient*innen nachvollziehen, wird schnell begreifen: Was für Fachleute eine Selbstverständlichkeit ist, kann für Patient*innen häufig eine Quelle der Verunsicherung sein.
Beide Perspektiven gehören zusammen
Der Pfad sichert die medizinische Qualität.
Die Journey sorgt dafür, dass diese Qualität verstanden, akzeptiert und mitgetragen wird.
Ein Beispiel: Wartezeiten lassen sich im klinischen Ablauf oft nicht vermeiden. Doch ob Patient*innen diese Wartezeit als Zumutung oder als transparent organisierte Phase erleben, entscheidet darüber, ob sie Vertrauen behalten. Dasselbe gilt für den Raum, in dem sie warten: Fördern Licht, Farben, Orientierungssysteme und nicht zuletzt auch Bilder an der Wand Ruhe und Sicherheit – oder verstärken sie Unsicherheit, Angst und Stress? Auch wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen hier häufig wenig Spielräume lassen – gute Kommunikation an den richtigen Touchpoints kann auch helfen, offensichtliche Defizite z. B. in der Prozesssteuerung oder den architektonischen Bedingungen als weniger belastend wahrnehmbar zu machen.
Studien zeigen: Patient*innen, die sich ernstgenommen fühlen, die besser informiert und weniger ängstlich und verunsichert sind, erzielen bessere gesundheitliche Ergebnisse. Verständnis und Vertrauen sind keine weichen Faktoren – sie sind medizinisch wirksame Größen.
Die operative Verknüpfung: Touchpoints im Pfad
Wie lässt sich die Verknüpfung konkret umsetzen?
Indem man den Behandlungspfad durch die Brille der Patientenerfahrung betrachtet:
Touchpoints identifizieren
Welche Berührungspunkte entstehen entlang des Pfades?Ziele bestimmen
Was ist hier medizinisch relevant, was emotional wichtig?Kommunikationsform wählen
Welche Kanäle eignen sich – digital, analog, persönlich?Prozesse anpassen
Welche internen Strukturen müssen verändert werden, damit medizinische und emotionale Qualität zusammenspielen?
Kommunikation als Schlüsselfaktor
Kommunikation ist nicht gleich Information. „Wir schreiben alles auf und geben es weiter“ reicht nicht. Auch nicht in innovativen digitalen Medien. Kommunikation wirkt nur, wenn sie im richtigen Moment, in der richtigen Form und in der richtigen Sprache ankommt.
Die Kommunikationswissenschaft spricht von Rezeptionsmustern: Menschen nehmen Informationen je nach Situation unterschiedlich auf. Wer im Schock über eine Diagnose ist, kann keine Fachartikel lesen. Wer in Ruhe auf seine Entlassung wartet, will Details für den Alltag zuhause.
Ein klinischer Pfad ohne eine granulare Patient Journey bleibt kalt.
Eine Patient Journey ohne empathische Kommunikation bleibt oberflächlich.
Kommunikation, die Verständnis und Vertrauen schafft, fügt die Ebenen zusammen.
UX Design als Methode
Hier kann man vom User Experience Design (UX) lernen. Es denkt Erfahrungen konsequent vom Nutzer her – ganzheitlich, konsistent, empathisch.
Auf die Klinik übertragen bedeutet das:
Ganzheitlichkeit: Alle Phasen und Kanäle müssen zusammenpassen.
Nutzerzentrierung: Prozesse werden so gestaltet, dass sie für Patient*innen verständlich und anschlussfähig sind.
Empathie: Nicht nur Fakten, sondern auch Orientierung und emotionale Entlastung zählen.
Das klingt banal – wäre in der Praxis unserer Krankenhäuser aber ein Paradigmenwechsel.
Patientenportale als Brückeninstrument
Patientenportale können die Verbindung zwischen Pfad und Journey sichtbar machen. Sie sind nicht nur digitale Ablagen, sondern Kommunikationsinstrumente.
Sie zeigen, wann was passiert.
Sie bieten strukturierte Information statt Datenflut.
Sie schaffen Kontinuität über Standorte und Berufsgruppen hinweg.
Ein Portal, das als Medium der Beziehung verstanden wird, verbindet die Strenge des Behandlungspfades mit der Menschlichkeit der Journey.
Fazit: Zwei Ebenen, ein Ziel
Der klinische Behandlungspfad sorgt für medizinische Exzellenz. Die Patient Journey gestaltet das Erleben dieser Exzellenz.
Getrennt betrachtet, bleiben beide unvollständig. Zusammen gedacht, entsteht ein ganzheitlicher Versorgungsprozess, der Qualität, Vertrauen und Akzeptanz gleichermaßen fördert.
Der Begriff Patient Journey ist abgeleitet aus der Customer Journey. In der Konsumgüter- und Dienstleistungsindustrie beschreibt diese seit den 1990er Jahren die Gesamtheit aller Kontaktpunkte, die Kund*innen mit einem Unternehmen oder einer Marke erleben – von der ersten Information über den Kauf bis hin zur Nachbetreuung. Der Gedanke dahinter: Nur wer diese Reise konsequent aus Kundensicht gestaltet, kann Vertrauen aufbauen und langfristige Bindung sichern.
Seit Anfang der 2010er Jahre wird der Ansatz zunehmend auch auf das Gesundheitswesen übertragen. International wird die Patient Journey als Konzept für eine patientenzentrierte Versorgung diskutiert, die medizinische Abläufe mit subjektivem Erleben verbindet. In Deutschland hat der Begriff in den letzten zehn Jahren Eingang in Fachdiskussionen gefunden – zunächst im Klinikmarketing, für das der Autor dieses Beitrags früh ein eigenes Schema zur Analyse einer sektorenübergreifenden „Patientenreise“ entwickelt hat. Inzwischen widmen sich auch die Versorgungsforschung und das Qualitätsmanagement dieser Betrachtungsweise.